9. Januar 2005
Doch bei aller Abneigung gegen Lokführertraumatiseure zuckte ich heftig, als ich im Speisewagen eine laute Männerstimme sagen hörte: "Ja... Stunde Verspätung... Personenschaden. Da hat schon wieder so ein Arschloch die Grätsche gemacht." Der Sprecher war ein Kawentsmann um die 50, und er bölkte in sein Telefon. Er saß einen Tisch weiter. Plötzlich fixierte er mich und begann zu brüllen: "Hast Du mit Kosslick gesprochön?" Das e sprach er wie ein ö, und er war so laut, daß man seine Rede in Versalien hätte transskribieren müssen: "HAST DU MIT KOSSLICK GESPROCHÖN?" Nein, das sieht immer noch viel zu dezent aus, der Kerl brüllte mindestens in gefetteten Versalien: "HAST DU MIT KOSSLICK GESPROCHÖN?"
An Flucht war nicht zu denken, der Zug pickepacke voll. Ich sammelte mich, und in eine seiner raren Schreipausen hinein sprach ich ernsthaft und leise: "Verschwiegenheit ist für mich kein leeres Wort. Ich habe nicht mit Kosslick gesprochen und mit niemandem sonst. Ich gehe auch nicht bei den Bullen singen. Geheimnisse sterben in meiner Brust. Sie können sich vollkommen auf mich verlassen: kein Wort zu Kosslick, nicht von mir. Und deshalb duzen sie mich bitte auch nicht."
(Wiglaf Droste, Personenschaden mit Laub)
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen